Der EU-Online-Glücksspielmarkt gerät immer mehr aus dem Gleichgewicht.
Die neue Yield-Sec-Analyse zeichnet ein klares Bild der digitalen Übermacht: 92 % der Glücksspielinhalte, die EU-Verbraucher 2024 online sahen, standen in Verbindung mit nicht lizenzierten Anbietern. Diese Sichtbarkeit übersetzte sich in Nutzung: 81 Mio. Menschen (rund 18 % der EU-Bevölkerung) interagierten im Laufe des Jahres mit illegalen Diensten.
Finanzielle Gewichte: 71 % GGR-Anteil und 2,40-zu-1-Hebel
Der Befund unterstreicht, wie stark das Nutzererlebnis von unregulierten Angeboten geprägt ist – mit weitreichenden Folgen für Marktdynamik und Verbraucherschutz. Ökonomisch dominiert der Schwarzmarkt das Geschehen.
In den EU-27 entfielen 71 % des Bruttospielertrags (GGR) auf illegale Anbieter, was 80,6 Mrd. € von 114,3 Mrd. € entspricht. Der regulierte Bereich erwirtschaftete 33,6 Mrd. € (29 %).
Die Relation der Erträge ist deutlich: Für jeden 1 € auf der legalen Seite generiert der illegale Wettbewerb 2,40 €. Zugleich wuchs der Schwarzmarkt um 53 %, während legale Anbieter um 30 % zulegten; das Gesamtvolumen stieg auf rund 114 Mrd. € (+46 %).
Untersuchungsrahmen und Plattformdichte
Die Studie, im Auftrag der European Casino Association erstellt, erfasst Umsätze aus Online-Casinos und Online-Sportwetten. Digitale Lotterien wurden nicht berücksichtigt.
Als illegal gelten alle Anbieter ohne nationale Online-Lizenz. Im Erhebungszeitraum zählte Yield Sec über 6.200 aktive Schwarzmarkt-Plattformen. Die Veröffentlichung erfolgte am Dienstag.
Regionale Brennpunkte und Kanalisierung
Die Datenschnitte nach Regionen zeigen erhebliche Belastungen in Osteuropa, wo 82 % der 35,5 Mrd. € Online-Einnahmen illegal sind. Westeuropa verzeichnet 72 % illegale Anteile an einem 44,3 Mrd. € großen Markt.
Südeuropa (58 %) und Nordeuropa (55 %) liegen darunter, aber weiterhin im dominanten illegalen Bereich. Die Kanalisierung in skandinavischen Ländern ist im EU-Vergleich am höchsten: Dort sind 45 % der Online-Umsätze legal. Demgegenüber fällt der lizenzierte Anteil in Zentraleuropa mit 28 % niedrig aus; in Osteuropa erreicht er lediglich 18 %.
Treiber 2024: Ereignisse, Angebote, Technologien
Mehrere, teils zeitgleiche Faktoren beschleunigten die Verlagerung. Große Sportereignisse wie Fußball-Europameisterschaft und Olympische Spiele fungierten als Traffic-Magnets, häufig flankiert von illegalen Live-Streams und aggressiven Incentives.
Die Studie spricht von Boni und Anreizen, die „weit über das hinausgingen, was regulierte Unternehmen rechtmäßig anbieten konnten“. Zudem gewannen Krypto-Glücksspiel und Prognosemärkte an Bedeutung – insbesondere bei jüngeren Zielgruppen.
Operativ setzen illegale Anbieter auf Täuschungstaktiken: gefälschte positive Bewertungen, die Verwendung von Nationalflaggen und Banklogos zur Vertrauenssimulation sowie hohe Social-Media-Präsenz auf TikTok, Twitch und Instagram.
Teilweise kommen Deepfakes zum Einsatz, um prominente Werbung vorzutäuschen. Die Abwesenheit regulativer Pflichten erlaubt schnelle Registrierung ohne KYC, flexible Einzahlungslimits und plattformübergreifende Produkte ohne Anforderungen an verantwortungsvolles Spielen.
Regulierte Anbieter unter Druck: Der „Jenga-Turm-Effekt“
Während Staaten Werbeverbote, Einzahlungs-/Einsatzlimits, Bonus- und Cross-Selling-Beschränkungen sowie verpflichtende Spielerschutz-Tools ausweiten, weichen risikofreudige Kunden in die unregulierten Bereiche aus.
Yield Sec bezeichnet das resultierende Ungleichgewicht als „Jenga-Turm-Effekt“ – jede zusätzliche Auflage lockert die Stützen des regulierten Marktes und verschafft der illegalen Konkurrenz Vorteile. Die regulierte Branche, die Staatseinnahmen und der Verbraucherschutz geraten damit in eine zunehmend prekäre Lage.
Fiskalische Folgen und politischer Handlungsdruck
Für die EU-Haushalte summieren sich die Effekte auf rund 20 Mrd. € Steuerausfälle im Jahr 2024. Angesichts der Größenordnung sprechen Branchenvertreter von einer akuten Krise.
Die Studie resümiert, die Bekämpfung des illegalen Online-Glücksspiels erfordere mehr als die Regulierung lizenzierter Anbieter: gefordert sei ein koordiniertes Vorgehen von Regierungen, Regulierungsbehörden und Branchenakteuren, das Aufdeckung, Überwachung und konsequente Durchsetzung zusammenführt.
Unterbleiben solche Maßnahmen, drohten fortgesetzte Erosion des regulierten Sektors, anhaltende Einnahmeverluste und steigende Risiken für Verbraucher – von Betrug über problematisches Spielen bis zu unzureichendem Spielerschutz.
Die Studie zeigt, wie eng Sichtbarkeit, Nutzerinteraktion und Ertragsverschiebung miteinander verknüpft sind. Solange illegale Angebote Inhalte und Reichweite dominieren, bleibt der Kanal in den legalen Markt zu schwach ausgeprägt. „Mit 71 % fließt somit der Löwenanteil“ – diese Formulierung aus dem Bericht steht sinnbildlich für den Status quo und den Handlungsdruck, den sie erzeugt.
Bildquelle: Yield Sec